»Ihr unerschöpflichen Farbwesen...« Die Lebendigkeit der Bilder

Charlotte Weyrauch, 2014
Katalogbeitrag zur Ausstellung Kunstverein Schweinfurt (Seite 39 - 41)

Brigitte Dümlings Bilder sind eigenartige Wesen für sich. Es sind Gebilde aus Farben und Formen, Kompositionen, die ihre eigene Sprache sprechen. Sie sind auf besondere Weise individuell und eigenständig. Und dennoch sind sie nicht in sich zurückgezogen, keine verschlossenen, opaken Welten, zu denen der Zugang versagt bliebe. Ganz im Gegenteil: sie sind offen, sprechen den Betrachter an und fordern ihn auf, zu antworten. Diese Mischung, dieses Zusammenspiel aus Eigenständigkeit und gleichzeitiger Aufforderung zum Gespräch möchte ich näher beschreiben.

Diese abgebildete Metalltafelserie scheint mir ein Erinnerungsort für Bewegungen zu sein. Ich sehe Wellen, die gegen eine Küste schlagen, ich sehe wiegende Boote, Strahlenreflexe und fliegende Federn. Die Erinnerung an diese Dinge entsteht über Bewegung: ich spüre zunächst nur Geschwindigkeit, Schwere und Leichtigkeit, und ich empfinde diese Bewegung fast jenseits des Visuellen – und dies vermittelt über die sichtbaren Bilder! Manchmal fällt mir auch das Objekthafte zuerst in den Blick. Dann nimmt es sonderbare Wege.

Ein Beispiel aus meiner Sicht: Die Tänzerin auf diesem Bild trägt Blau. Ihr Körper in Rückenansicht, Stabilität in der Bewegung gibt das rechte Bein, in Balance gebracht durch den linken ausgestreckten Arm. Der rechte Arm und das linke Bein sind in Bewegung – eine Drehung? Den Kopf braucht sie jetzt nicht, sie ist reine Dynamik. Oder täuscht das? Ist es vielmehr der Hintergrund, der dynamisiert? Das schlingernde Grün rechts unten oder das Braun links unten, das den schlingernden Bewegungsimpuls aufnimmt und treibt? Ist es das vertikale Vibrieren des Rot-Gelb oder die insistierende Macht jener zartesten Linien im Bild, die Festigkeit dadurch erhalten, dass sie das ganze Bild horizontal durchziehen? Der Rumpf selbst, tiefblau, ist fixiert. Wie bei einer geschickten Tänzerin, die sich so dreht, dass das Auge kaum folgt, gerät hier der Hintergrund in Bewegung, erscheint gar als Triebkraft. Die Tänzerin – der Pinselstrich – werden in Bewegung gesetzt von diesem Hintergrund, von einem Dritten, das sich nicht auf eine Handlung reduzieren lässt und nie nur Pinselführung ist. Das Ganze reicht über die einzelne Bewegung und die kinematischen Gesetze weit hinaus.
Das verbindet die Bilder, dass sie das Rätsel aufgeben, wer die Bewegung angestoßen hat, wer sich treiben lässt und wer treibt. Was wir aber alle wissen: nur eine sehr feinsinnige Tänzerin vermag uns so verlässlich zu täuschen, dass wir in ihrem Spiel die Wirklichkeit klarer erkennen.

Und doch beharrt die kleine Metalltafel auf ihrer Eigen- ständigkeit. Meine Tänzerin ist keine Tänzerin, die sich unendlich dreht, wie es mir für einen Moment scheinen wollte. Es ist ein Spiel aus Farbfetzen und Flächen, Kontakten und Platzierungen, aus Blau, Gelb und Rot-Orange und den Farbmischungen, die daraus entstehen.

Nicht umsonst tragen Brigitte Dümlings Bilder nur sehr selten Titel. Damit beugen sie einer Auslegung vor, die auf Eindeutigkeit und Stillstellung ausgerichtet ist. Nur so behalten die Bilder jene Lebendigkeit, die sie auszeichnet, und erschöpfen sich nicht.

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