György Kurtág – Brigitte Dümling

Dr. Albrecht Dümling, 2003
Musik und Malerei


Für György Kurtág ist die Musik ein Mittel der Selbstfindung. Seine musikalischen Schöpfungen, ein work-in-progress, verwandeln sich ständig und bleiben doch immer charakteristisch und persönlich. Vom Vorbild Béla Bartóks ging der Ungar aus, bevor er sich ab 1956- nach einer Schaffenskrise- stärker Anton Webern zuwandte. Seitdem wurden seine Werke kürzer, oft skizzenhaft nach der Art eines Tagebuchs oder Briefes, nicht selten Freunden gewidmet.

Kurtágs Musik lebt aus ausgesparten Texturen, die aus oft nur wenigen Tönen oder einzelnen rhythmischen Gesten bestehen. Schon an Bartóks „Mikroskosmos“ hatte der Komponist erfahren, dass  sich im Kleinen eine ganze Welt verbergen kann. Wichtige Dimensionen seiner Expressivität sind Farbe und Dynamik, wobei die bewusst gestaltete Stille eine ähnliche Schlüsselrolle einnimmt wie bei Luigi Nono. Die in Düsseldorf lebende Malerin Brigitte Dümling hat sich mit Musik seit ihrer Kindheit aus-einandergesetzt. Die Idee einer direkten Konfrontation ihrer Bilder mit Klängen nahm jedoch erst um 1990 in Gesprächen mit Peter Girth, dem damaligen Intendanten der Düsseldorfer Symphoniker, deutlichere Formen an. Obwohl der Plan eines aus musikalischen Ideen entwickelten Ausstellungs-zyklus zunächst nicht realisiert wurde, setzte sich die Malerin nun intensiver als zuvor mit zeitgenössischen Kompositionen auseinander. Einen idealen Ort für einen solchen Dialog der Künste fand sie in der Insel Hombroich bei Neuss, wo regelmäßig hochrangige Konzerte stattfinden.

Als die Malerin dort am 19. Mai 1994 bei einem Konzert mit Zoltán Kocsis Klaviermusik von György Kurtág kennenlernte, traf sie auch mit dem Komponisten und seiner Frau zusammen. Dieser nachhaltige Eindruck vertiefte sich am 25. Mai 1996 bei einem abendfüllenden Kurtág-Programm mit den Interpreten Peter Riegelbauer, Markus Stockhausen, Majella  Stockhausen und Marcus Creed. Dabei richtete die markante Besetzung Trompete, Celesta, Klavier und Kontrabass in der Komposition „Rückblick“ ihre Aufmerksamkeit auf Beziehungen zwischen Farbwirkungen in  Musik und ihren Bildern. Brigitte Dümling entdeckte hier eine neue Inspirationsquelle für ihre eigene Kunst und bemühte sich seitdem verstärkt um regelmäßige Auseinandersetzungen mit Kurtágs Werken. Besonders angezogen fühlte sie sich durch seine Streichquartett-Kompositionen „ Aus der Ferne III“ ( 1991) und „Hommage à Mihály András. Zwölf Mikroludien“ op. 13, die sie in einer Aufnahme mit dem Keller-Quartett kennenlernte. Die lapidar kurzen Mikroludien basieren auf elementarem Material wie 12 ab-steigenden Halbtönen und einem F-Dur-Akkord in der Mitte. Dazu erklärte der Komponist: „ Der Mensch kehrt von Zeit zu Zeit zum selben Stoff zurück, um die darin verborgenen neuen Möglichkeiten zu sondieren.“ Zu den neuen Möglichkeiten gehören beispielsweise gläserne Flageoletts oder eine dynamische Staffelung von Vorder-und Hintergrund. Mit diesen sich aus der Stille entwickelnden Stücken hat sich die Künstlerin seit dem Jahre 2000 aus-einandergesetzt- nicht im Sinne einer objektivierenden Übertragung des Akustischen ins Visuelle, sondern als persönliche Interpretationen. Bei Kurtág entdeckte sie einen Kern, wodurch sich  ihre Malweise spürbar veränderte. Im Unterschied zu früheren Bildern fallen in den neueren Arbeiten größere Leichtigkeit und Beweglichkeit sowie die ausgesparten Texturen auf. Farben und Strukturen bewegen sich frei  und transparent im Raum und werden nicht durch anderes verdeckt. Dabei dominiert, ähnlich wie bei Kurtág, schwebende Lyrik über dramatische Akzente. Einzelne Striche und Linien  bilden kontrapunktische Bezüge, die einen auratischen Raum entstehen lassen. Wie in Walter Benjamins Buch „Berliner Kindheit um 1900“, das auf sie eine ähnliche Anziehungskraft ausübte, entdeckte die Malerin dabei eine Identiät von Einfachheit, intensiver Erfülltheit und „geheimnisvoller Klarheit“, ein Zusammentreffen von Erinnerung und Gegenwart.

Entsprechend den Kurtág-Miniaturen sind es zerbrechliche Momentaufnahmen, die deshalb nicht in Ölgemälden zum Ausdruck kommen, sondern als Aquarelle auf Papier, teilweise auch mit Aquarellstiften kombiniert. In ihrer verletzlichen Intimität korrespondieren sie mit den kleinen Besetzungen der Kammermusik. Wie der Komponist kurze Stücke zu größeren Kompositionen zusammenfügte, so entwickelt auch sie aus Bildgruppen Zyklen. Und ähnlich wie Kurtág durch die gezielte Aufstellung von Instrumenten im Raum, etwa bei „…quasi una fantasia…“, zu Ideen der Verräumlichung  kam, spielen auch für Brigitte Dümling neue Raumideen, etwa bei der Gruppierung ihrer Bilder, eine wachsende Rolle.

Dr. Albrecht Dümling, (Berliner Musikwissenschaftler- und kritiker), Text zum Projekt "Musik und Bild", 2003

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