…“jede Bilderreihe zeigt eine unverwechselbare Prägung…“

Die Hand der Künstlerin - zur Malerei von Brigitte Dümling
Alexander Schaumann, 2009


Es ist eine Besonderheit der Malerin Brigitte Dümling, dass sie gerne von ihrer Hand erzählt, nämlich davon, was ihre Hand tut.
Wir sind gewohnt, von einer geübten Hand zu sprechen und meinen damit eine Hand, die fähig ist, den Intentionen des Künstlers oder der Künstlerin zu folgen. Brigitte Dümling fasziniert dagegen deren Eigenleben. Es geht um den Strich, seine Setzung und seine Gesten. Sie beobachtet, welche Gesten in ihrer Hand gerade angelegt sind und sucht sich immer präziser  darauf einzustimmen. Sind es kurze, jähe Bewegungen oder geschmeidig langgezogene? Haben sie eine straffe, prismatische Tendenz oder neigen sie zu Fülle und umfassenden Bögen? Hier tut sich eine unabsehbare Vielfalt von Qualitäten auf, die sich zudem permanent verändern. „So etwas habe ich noch nie gemacht.“ Diesen Satz hört man häufig, wenn Brigitte Dümling neue Arbeiten zeigt. Und tatsächlich, obwohl ihre Handschrift als solche unverkennbar ist, zeigt jede Bilderreihe eine unverwechselbare Prägung.

Innerhalb einer einzelnen Reihe verdichtet sich dieses von Blatt zu Blatt, sodass eine bestimmte Lichtqualität oder eine bestimmte Art von Grund immer deutlicher hervortritt, während andere Reihen mit einer festeren oder flüssigeren, strahlenderen oder durchscheinenderen Ausstrahlung ganz andere Töne anschlagen. Solche Unterschiede kennzeichnen die Arbeit der Malerin, kommen dadurch doch tatsächliche Veränderungen zum Ausdruck. In ihnen spiegeln sich Ortswechsel oder eine fortgeschrittene Jahreszeit, auf die die Künstlerin mit wachen Sinnen reagiert. Noch hinzu kommt aber ein immer freierer werdender Umgang mit dem Dazwischen.

Denn bei Brigitte Dümling geht es gar nicht um die gesetzten Striche selbst, sondern um den Raum, den sie zwischen sich ergreifen, um einen Zwischenraum voller Leben, der erst das Wesentliche ihrer Arbeiten ausmacht. Er ist es, der die Atmosphäre der Umgebung wiederspiegelt. So glaubt man beispielsweise die Weite über einer Wasserfläche zu spüren oder Schilf rascheln zu hören und erfährt dann, dass Schilf am Entstehungsort der Arbeit ein bestimmender Eindruck war. Ein Aufenthalt in Paris bringt ernste, nach innen gehende Töne, die aus einer luftig-trockenen Helligkeit immer wieder in Dunkelheit führen.

Die Bedeutung dieses Zwischenraums birgt schließlich aber auch eine besondere Beziehung von Bild zu Bild. Schon von jeher suchte die Künstlerin nach Möglichkeiten, Bilder in freier Komposition auf die Wand zu bringen. Eine solche Komposition entsteht wie ein Bild. Aus einem Fundus bemalter Tafeln wird eine erste an bestimmter Stelle platziert, auf die die weiteren dann höher und tiefer, dichter oder in lockererer Folge bezogen werden, sodass ein raumgreifender Rhythmus entsteht, dessen Abstände sich aus den Bildern selbst ergeben. Warum? Weil die Formate der Malerin keine abgeschlossenen Flächen bilden, sondern Landeplätze. Ihre Setzungen finden in den Grenzen des Formats nur ihr Ziel und ihre letzte Bestimmung, nachdem sie zuerst das umgebende Fluidum von Zeit und Ort mit ihren Gesten erkundet haben. Dieses Leben tragen sie in das relativ kleine Format, das dadurch auf seine Umgebung zurückzuwirken vermag. Wie zwischen den Strichen selbst entsteht auch zwischen den Bildern ein lebendig erfülltes Feld, das in unvergleichlicher Präsenz den Ausstellungsraum verwandelt. Mit ihrer Hand taucht die Malerin in das kaum zu beschreibende Fluidum einer bestimmten räumlich-zeitlichen Situation und weiß es aus der Vergänglichkeit in die Dauer des Bildes zu übertragen. Dass dabei sein beweglich-veränderlicher Charakter nicht verloren geht, sondern in fortdauernder Gegenwart erlebbar bleibt, gehört zu den erstaunlichen Qualitäten ihrer Arbeit.

Alexander Schaumann, Oktober 2009
Text zur Ausstellung in Bochum.  2009

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